01.06.2005 Seminarbericht einer Teilnehmerin Berlin 05

Zur Einführung lieferte uns Yogesh Sehgal wieder ein Kapitel in der Kunst der Anamnesetechnik. Die Sehgalmethode arbeitet nur mit den Gemütssymptomen, deshalb wird in der Anamnese versucht, durch intensives Nachfragen hinter das Problem des Patienten durchzudringen. So äußert ein Patient beispielsweise, dass er Angst vor Hunden habe. Es genügt aber nicht, die Gemütsrubrik Furcht vor Hunden zu nehmen. Die Fragestellung muss weitergehen: "Weshalb fürchten Sie sich vor Hunden?" "Ich habe keine Angst vor dem Biss, aber ich fürchte mich vor der Injektion, der Spritze, die ich danach bekommen werde." Es steckt also mehr als nur die Furcht vor Hunden dahinter, nämlich die Furcht verletzt zu werden.
Wir dürfen die Gemütssymptome nicht oberflächlich anwenden, sondern müssen die Kunst erlernen, wie man sich an die tiefen Gefühle des Patienten herantastet und sie dadurch zu spüren vermag. So möchte ein Patient mit einem Ulcus eine homöopathische Behandlung, weil er keine Operation möchte. Er äußert: "Bitte, retten Sie mich vor der Operation!" Es ist wichtig weiter zu fragen: "Weshalb haben Sie solche Angst vor der Operation? Sie könnten doch einen guten Chirurgen nehmen." Daraufhin antwortet er: "Ich habe gehört, dass viele Patienten bei der Operation sterben." Auch hier müssen wir hinter das Gefühl der Furcht gehen. Wenn wir nur die Furcht beseitigen, wird sich an dem Ulcus nichts ändern, das schließlich geheilt werden soll.
Yogesh Sehgal demonstrierte, wie er mit seiner Fragestellung tief in das Gemüt des Patienten eindringt, den Faden aufnimmt, das Wesentliche von den Nebenschauplätzen in der Anamnese trennt. Er warnte uns davor, in Fallen zu geraten. Als Therapeuten kann uns der Patient häufig in eine Rechtfertigungssituation bringen, vielleicht gibt er uns sogar die Schuld. Wenn wir uns nicht angegriffen fühlen, können wir erkennen, dass uns der Patient damit wertvolle Gemütssymptome liefert.
Yogesh Sehgal illustrierte das anhand eines Lachesispatienten, der versuchte, ihn für das Fortschreiten seiner Erkrankung verantwortlich zu machen. Er musste Antibiotika nehmen, weil er Yogesh in seiner Praxis nicht erreicht hatte. Yogesh fragte ihn: „Weshalb laden Sie alle Schuld auf mich. Es ist doch nicht meine Schuld wenn die Allopathie bei Ihnen nicht gewirkt hat.“ Worauf der Patient antwortete: „Wenn Sie in der Stadt gewesen wären, hätte ich ein Mittel von Ihnen bekommen und die Krankheit wäre nicht so weit fortgeschritten.“ Wir müssen, laut Hahnemann, scharfe Beobachter sein. Im Verständnis des Patienten war Yogesh Schuld, dass der Patient allopathische Medizin nehmen musste. Der Patient begründet sein Verhalten, was sich in der Rubrik Sachlich, vernünftig wieder spiegelt. Aber er hat auch die Rubrik Philosophie - Fähigkeit zu genommen und außerdem gab der Patient Yogesh die Schuld, dass er Allopathie nehmen musste, das ist die Rubrik Wahnidee Unrecht erlitten. Yogesh erläuterte, wie wir aus diesem Gespräch noch weitere wertvolle Gemütsrubriken finden können, die uns Aufschluss über den Gemütszustand des Patienten geben.
Ein weiterer Fall einer Patientin mit Depressionen. Sie hatte die Antidepressiva selbst abgesetzt, litt unter Übelkeit, hatte keine Lust zu arbeiten und wollte nur schlafen. Sie hatte kein Vertrauen, irgendetwas zu schaffen, erwartete aber trotzdem nur das Beste, obwohl sie nichts dafür tat. Eines der Mittel in der Rubrik Verlangen nach Licht ist Lac caninum. Yogesh entwickelte, wie er über die Gemütsrubriken den Gemütszustand der Patientin und damit den Kern ihres Problems erfasste: Sie hatte Furcht, ihren Pflichten nach zu kommen. und befand sich im Widerstreit mit sich selbst (Rubriken: Furcht, Pflichten, unfähig werden, ihren Pflichten nachzukommen; sie werde und Widerstreit mit sich selbst).
Einen weiteren Schwerpunkt des Seminars bildeten Videoaufzeichnungen, anhand derer Sanjay und Yogesh zeigten, wie wir das Verhalten der Patienten beobachten müssen, nämlich anhand einer Rubrik, die in der Sehgalmethode häufig angewendet wird:  Lachen beim Sprechen. Wie unterschiedlich Menschen lachen oder lächeln, konnten wir anhand des Films deutlich erkennen.
Die Behandlung von Kindern mit Fieber und Bronchitis: Kinder können oft nur über Beobachtung und das Gespräch mit der Mutter behandelt werden. Material dazu lieferten Kindervideos. Wir beobachteten Schritt für Schritt wie sich Kinder in der Behandlungssituation verhielten. Jede Regung, auch das Verhalten des Kindes in Zusammenspiel mit seiner Mutter, wurde in die entsprechenden Rubriken umgesetzt.
Ein Kind beruhigte sich nur, indem es an seinem Tuch saugte. War es nass, wollte es ein Neues. Wie kann man das interpretieren?
Eine sehr interessante Beobachtung bot auch die Rubrik Torpor – die Erschlaffung des Körpers, was zeitweise Stop der Energie bedeutet. Schlüssig und eindrucksvoll erlebten wir, wie Pulsatilla und Gelsemium im Torporzustand von einander zu unterscheiden sind.
Es ist oft schwierig, für einen Patienten die entsprechende Rubrik zu finden, wenn er sagt, „das wird schon wieder.“ Ist er hoffnungsvoll, optimistisch oder bestimmt, positiv im Geist? Drei ähnliche Rubriken und doch wichtig zu unterscheiden.
Ähnlich verhält es sich mit beharrlich und hartnäckig. Manche Patienten sind hoffnungsvoll und trotzdem verzweifelt, oder verzweifelt und bleiben dennoch beharrlich bei der Behandlung. Auch hier wichtige Gemütsäußerungen, die in die entsprechenden Rubriken umgesetzt zielsicher zum Mittel führen.
Die Rubrik Verlangen nach Licht ist eine wichtige Rubrik in der Sehgal-Methode. Es ist nicht immer die Rubrik Verlangen nach Licht, wenn der Patient etwas wissen möchte. Licht dringt nicht in die Tiefe, es bleibt an der Oberfläche. Was ist, wenn ein Patient es aber ganz genau wissen möchte und immer wieder nachforscht? Das geht über das Verlangen nach Licht hinaus. Da gibt es nämlich die Rubrik Wissbegierig bzw. Neugierig. Von diesen Mitteln drückt jedes seine Wissbegierde anders aus, was sich in den dazugehörigen unterstützenden Rubriken zeigt.
Sanjay erklärte, dass wir oft das Gefühl haben, der Patient brauche dringend Hilfe. Wenn wir das Repertorium aufschlagen, gibt es mehrere „Hilferubriken“. Handelt es sich dabei um Schreien um Hilfe, Delirium Schreien um Hilfe oder um die Wahnidee ruft um Hilfe? Er führte weiter aus, wie Gelsemium und Stramonium auf dieser Erde überleben, denn beide stehen in der Rubrik: Klammern an Personen und Möbel.
Neben Sepia und Arsenicum album, Veratrum album stellte Sanjay neue Mittel mit deren zentralen Rubriken vor. Laurocerasus wurde anhand zweier völlig unterschiedlicher Patientengeschichten, nämlich einer manischer Depression aufgrund der häuslichen Situation und der Thrombozytopenie eines jungen Mannes erläutert. In beiden Fällen wandte Sanjay die spannende Rubrik Wahnideen - Mann - alte Männer - sieht alte Männer - Bärten und verzerrten Gesichtszügen; mit langen an. Wie ist diese Single-Rubrik von Laurocerasus zu verstehen und im Verhalten des Patienten zu beobachten? Laurocerasus ist auch in der Rubrik Schreien um Hilfe zu finden. Was ist der Schlüssel zu diesem Mittel? Die Lebenssituation von Lauruscerasus ist erdrückend und einengend. Es entsteht ein Mangel an Freiheit, die aber gebraucht wird, wie die Luft zum Atmen. Die Patienten befinden sich in einem verzweifelten, hilflosen Zustand, in dem sie um Hilfe schreien. Dabei entsteht eine große Wut, wenn sie nicht verstanden werden. Unterstützende Rubriken: Zorn, wenn missverstanden, Traurigkeit treibt aus dem Haus, Traurigkeit mit behinderter Atmung. Der Zustand bessert sich im Freien, was u.a. die Rubrik Schwermut, Traurigkeit, Niedergeschlagenheit, Freien, im, amel. belegt.
Mit Ferrum magnesium heilte er den Fall einer Patientin mit starkem Zahnfleischbluten, der Phosphor nicht geholfen hatte. Wie fand Sanjay zu diesem Mittel? Sie war sehr selbstzufrieden, stolz, sehr positiv, sogar etwas hochmütig und arrogant. Dafür fand Sanjay die Rubrik Gehen, selbstzufriedenem Eindruck der Wichtigkeit; geht in einem, die ihm den Schlüssel für die Öffnung des Falles gab.
Capsicum, bisher bekannt als Mittel bei Heimweh, vor allem für Seeleute, wurde mit einem Fall von Hyperacidität dargestellt. Der Patient rauchte viel und konsumierte auch übermäßig Kaffee und Tee. Er litt sehr darunter, dass sein Vater kein Vertrauen in ihn hatte. Deshalb vermied er nach Hause zu gehen, obwohl er es gerne getan hätte. Das führte bei ihm, wie Sanjay wunderbar erschloss, zu Langeweile mit Heimweh und Furcht vor Tadel.
Sanjay und Yogesh Sehgal boten ein sehr gutes und interessantes Seminar mit einer Vielzahl von neuen wertvollen Informationen. Sie zeigten uns, wie tief die Sehgal-Methode ins Gemüt des Patienten einzudringen vermag und wie neue Mittel erschlossen werden können. Die Rubriken sind nicht immer direkt 1:1 zu übersetzen, vielmehr liegt die Kunst darin, deren symbolischen Gehalt zu erkennen und zu interpretieren. Wie uns Sanjay und Yogesh Sehgal wieder einmal vorführten, ist die Sehgal-Methode die Richtung in der Homöopathie, mit welcher der Gemütszustand des Patienten nicht nur oberflächlich erfasst wird, wie Kritiker bemängeln, sondern dass er vielmehr sehr tief greifend erforscht wird und damit auch geheilt werden kann.